Fastenbrechen: Eine Nahrung, die mehr ist als Essen

 

Im Hof des Kulturvereins treffen sich abends rund 150 Einheimische und Flüchtlinge. Begegnung und Bildung schafft der Verein schon lang.

 

Freitag, 21.30 Uhr, Kulturzentrum „Merkur“, Steinheimer Straße. Sprachfetzen wehen durch die Sommerluft. Auf Türkisch, Arabisch, Deutsch. Der Ramadan neigt sich dem Ende zu – und das „Bildungsforum Brenz“ hat nochmals mächtig aufgetischt: Suppe, Reis, Frikadellen mit Kartoffeln, Bohneneintopf, Baklava und Salate warten drapiert auf großen Platten auf die nach einem Monat täglichen Fastens besonders hungrigen Abnehmer.

 

Und die Vereinsmitglieder sowie die von ihnen eingeladenen Flüchtlinge greifen dann auch gerne zu. Wie auch schon an den vorigen zwei Wochenenden im Fastenmonat. Wie kam's zu der Idee, die Neubürger aus den Steinheimer und Heidenheimer Unterkünften zum gemeinsamen Fastenbrechen einzuladen? „Vor etwa einem Jahr habe ich eine Familie, die dort lebt, kennengelernt“, erzählt Ilyas Özkan, Vereinsmitglied und freiberuflicher Familienberater.

 

Özkan weiß, wie es sich anfühlt, fremd zu sein: Er kam vor 14 Jahren nach Deutschland. Zuvor hatte er in einer kleinen Stadt zwischen Ankara und Istanbul gelebt – und dort nicht nur türkisch gesprochen, sondern auch ein wenig Arabisch gelernt.

 

Man verstand sich also. Auch über die rein verbale Kommunikation hinaus. Und so lud der Kulturverein, der seit 1999 existiert, bereits damals die Familie sowie Dutzende weitere Bewohner des Steinheimer Ziegelhofes zu einem gemeinsamen Frühstück ein.

 

Da lag es nahe, das traditionelle Fastenbrechen der Mitglieder und Freunde des „Bildungsforums Brenz“ in diesem Jahr zu erweitern, Fremde als Freunde an die Tafel zu holen. Und zwar mit persönlichem Einsatz nicht nur was das Einkaufen und Kochen betrifft: Viele der Gäste dieses Abends wurden mit den Privatautos der Vereinsmitglieder abgeholt. Einige Touren musste der improvisierte Shuttle-Service machen.

 

Syrer, Iraker, Afrikaner, Afghanen sind mit ihren Familien in das ehemalige Hotel „Schweizer Hof“ gekommen, das der türkisch-deutsche Kulturverein vor zehn Jahren ersteigert hatte und das seitdem seine Heimat ist.

 

Und mittlerweile Schauplatz ganz vielseitiger Angebote und Veranstaltungen. War man vor 17 Jahren als Nachhilfe-Angebot für Migrantenkinder gestartet, hat sich das Portfolio des Vereins seitdem deutlich erweitert. Nachhilfe, Sprachkurse und Hausaufgabenbetreuung sind durchaus weiter gefragt – hier engagieren sich viele der rund 30 aktiven Mitglieder ehrenamtlich – , aber das „Bildungsforum“ offeriert heute auch Kunst- und Kochkurse, Musikunterricht, Seminare und Vorträge.

 

Angebote, die bei Weitem nicht nur von Menschen türkischer Herkunft geschätzt werden – sondern von Menschen vieler Nationalitäten. Das Credo ist seit der Gründung unverändert: Der Verein will „Integration durch Bildung“ erleichtern, Menschen zusammenbringen und durch persönliches Engagement nicht zuletzt Kindern mit Migrationshintergrund als Vorbild dienen, berichtet der 44-jährige Bülent Bahadir, Vereins-Schriftführer und KFZ-Techniker-Meister mit eigener Werkstatt.

 

Bei Jugendlichen gleicherweise Motivation wie Voraussetzungen schaffen, sich aktiv am Integrationsprozess beteiligen zu wollen – das ist den Verantwortlichen ein Anliegen. Zu zeigen: „Was wir geschafft haben, kannst Du auch.“ Den Teufelskreis aus schlechter Schulbildung, Aussichtslosigkeit auf dem Arbeitsmarkt und sozialem Abgleiten zu durchbrechen. Aber auch: Junge Menschen immun zu machen gegen politische und religiöse Hetze.

 

Welche Rolle spielt dabei der Glaube? „Wir sind ein deutscher Verein, auch wenn unsere Mitglieder mehrheitlich Moslems sind. Und wir treten für ein friedliches und tolerantes Miteinander der Religionen und Kulturen ein – auch wenn wir unsere kulturellen Traditionen leben und vermitteln wollen“, sagt Bahadir. Zweierlei ist für alle im Verein klar: Die verbindlichen Regeln des Zusammenlebens stehen nicht in der Bibel oder im Koran, sondern in den weltlichen Gesetzestexten. Und: Man distanziert sich von jeder Form religiösen Dogmatismus'. Jüngst sprach in den Vereinsräumen ein Experte über die von Salafisten ausgehenden Gefahren für eine tolerante Gesellschaft. Friedliches Miteinander proklamiert und lebt man auch hinsichtlich anderer Konfliktlinien: Türken und Kurden sitzen hier nicht nur beim Fastenbrechen ganz selbstverständlich Seite an Seite. „Das ist hauptsächlich ein politisches Problem“, sagt Bülent Bahadir: „Die meisten Menschen wollen mit ihren Nachbarn einfach nur gut auskommen.“

 

CHRISTIAN NICK | 05.07.2016

Foto: Markus Brandhuber

 

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